Ein Erfahrungsbericht von Robert Wimmer

Für ein besseres Morgen

Zwei knapp aufeinander folgende Detonationen lassen die Kolonie erbeben. Schwefelhaltige, stechende Hitze, gefolgt von säuerlichem Nebel macht sich breit. Ein drittes Mal kracht es ohrenbetäubend und nur langsam wird mir klar, was hier passiert. Das Labor, seine Inhalte, und vor allem die Arbeit der letzten Tage gehen hier gerade buchstäblich in Rauch auf. Und wir, die Soldatinnen und Soldaten, Arbeiterinnen und Arbeiter der Kolonie werden Zeuge davon.

Ich stehe mit halboffenem Mund an der Schwelle zwischen Versammlungsraum und Innenhof, zwischen trügerischer Sicherheit und sicherem Tod. Waffe im Anschlag, ausleuchten. Überblick verschaffen. Verdächtige? Flüchtende? Ein Anschlag? Miriam und Erik rennen bei mir vorbei, bergen Mayer, den Neuen. Scheiße... Er wollte sich beweisen, mir, dem "großen Leutnant Wimmer, der Ikone von Justice"... Ikone am Arsch. Ich stehe hier wie angenagelt, während die Truppe rettet, was zu retten ist.

Hände reißen an mir, zerren mich nach drinnen, als ein Windstoß den Nebel in Richtung des Versammlungsraumes trägt. Es gelingt uns, die Tür fürs Erste zu schließen. Novel, ausgerechnet der, bei dem keiner weiß, wofür man ihn einfahren hat lassen. Ausgerechnet er wird zum Helden. Mein Kopf rast, ein Dröhnen fährt durch den Schädel. Explosionen hinterlassen oftmals ein Klingeln, das alles andere verstummen lässt... Ich konzentriere mich darauf..."komm schon Robert, nächste Schritte! Protokoll!"

Truppe sammeln, organisieren, Selbst- und Kameradenhilfe, Zivilisten bergen und versorgen... Ja. Das wird schon. Wir leben noch... Es war nicht das Gas. Es kann nicht das Gas gewesen, es darf nicht das Gas gewesen sein. Wir werden den Kaiser und Justice nicht enttäuschen. Ich werde hier nicht scheitern!

Mayer, und Erik werden von Miriam herein geschleift. Mayer bewusstlos, Erik... Scheiße, ERIK!!! Nein, nein, nein, nein! Krepier' mir jetzt nicht, Mann. Nicht jetzt, so kurz vor unserem Ziel. So kurz vor unserem Sieg... Vor unserem besseren Morgen! Ich starre auf ihn herab, werde auf die Seite geschoben während weitere Hände nach Erik greifen und ihn in Sicherheit bringen. Ich werde auf eine Bank daneben gesetzt, starre zu Boden.

Was ... was ist das? Die Explosionen sind bereits mehrere Minuten her. Das Klingeln müsste längst vorbei sein. Und doch... ich... ich höre kaum was... Nur dieses Pfeifen.... Konzentrier' dich Robert, konzentrier' dich! Ein Kloß bildet sich in meiner Magengegend... Was... Was wenn doch?

"Leutnant"...nur ein Flüstern mitten unter dem alles übertönenden Pfeifen... "Leutnant! LEUTNANT! ROBERT!!!" Es ist Miriam. Sie reißt an mir, zieht meinen Blick in ihren. Unter völliger Übergehung der dienstlichen Hierarchie sehe ich ihre panikerfüllten und... gebrochenen Augen. "Wir sind alle tot, oder?! Ja?! Es ist das Giftgas, wir sind alle tot! Ist doch so!!! Is' alles scheißegal, ja!!!! Leutnant! Red' mit mir!!!" Oh Miriam... Es tut mir so leid. Ich weiß, was du von mir erwartest... Ich weiß, dass du von mir hören willst, dass alles seinen Sinn hat. Dass unsere Mission für das größere Wohl die Opfer wert war, die wir auf dem Weg hierher erbracht haben... Dass niemand hier umsonst gestorben ist, weil dieser Zweck, dieser Sieg endgültig das Blatt wendet. Burger. Wachowksky. Der dicke Theo. Die Gefreite Wildberg... Die Arbeiter, die ihr Leben lassen mussten. Wenigstens wissen sie jetzt wofür es gut war... Für das bessere Morgen.

"RED MIT MIR VERDAMMT NOCH MAL!!! Scheiße...." Miriam reißt sich den Körperpanzer runter, beginnt sich zu kratzen.. Eine Nebenwirkung? Es beginnt. Der Kloß im Magen schiebt gegen das Zwerchfell, das Zwerchfell gegen die Lunge, ich beuge mich vornüber und huste... Scheiße....

Was erwartet ihr alle von mir? Das ist nicht die Scheißhauptstadt, das ist der echte Krieg, mit den echten Entscheidungen. Und im Gegensatz zu euch undankbaren Schreiern kann ich sie treffen verdammt nochmal!

Miriam drückt mir eine Maske ins Gesicht, ich atme ein, halte die Luft an, und stehe auf. Irgendjemand gibt mir eine zweite Maske, ich kann mich selbst versorgen. Ja, so wirds gemacht. Protokoll! Gut so Miriam, gut so Justice-Bürger! So gewinnen wir diese Herausforderung, diese Nacht und diesen verdammten Krieg! Dieses beschissene Pfeifen!

Adrenalin im Organismus betäubt nicht nur den Schmerz im gebrochenen Bein, es verlangsamt auch die vergehenden Sekunden zu Minuten und weiter zu Stunden. Das ist gut, ich brauche die Zeit, um zu sehen. Ich, nein wir, wir von JUSTICE, wir haben was noch... Vier, vielleicht fünf Minuten, wenn wir nicht sofort evakuieren?

Situationsanalyse: Arbeiter bekriegen sich um Kleinigkeiten. Nicht Schutzausrüstung, mehr so.... Essensteller, Overallteile, Gürtelschnallen. Was zum.... Was passiert hier? Ein weiterer geschützter Luftzug durch die Maske, was ist das bei ihrem Arm? Ach egal, ich hab' gerade andere Sorgen. Irgendwo dreschen zwei Arbeiter auf ein Sofa ein. Ich suche meinen Trupp, Miriam dreht am Rad, sie muss sofort raus. Erik steht so halbwegs, zum Glück - bring' sie nach Hause. Mayer liegt, Dreck. Ich hole ihn nochmal ins Leben zurück.

"MAYER! MAYER!!!!"

Seine Antwort ist kaum hörbar unter dem Rauschen und Klingeln in meinem Ohr.

"WAS?"

"Ich stand ... Wache.. Was...."

"DAS LABOR IST EXPLODIERT, WIR SIND KONTAMINIERT! KÖNNEN SIE LAUFEN?"

Ich sehe mehr sein Nicken, als dass ich sein so begeistertes "Jawoll" hören könnte.

"GUT, SAMMELN SIE DEN TRUPP EIN! WIR EVAKUIEREN SOFORT!"

Bonner, wo zur Hölle ist Bonner? Seine Chaotentruppe muss hier noch irgendwo rum laufen. Da! Da ist er! Gut, gut, gut.... Wird Zeit, dass er sich darum kümmern kann, die wichtigen Dinge zu tun. Ich hab' ihm alles abgenommen seit ich hier bin. Die Last der Verantwortung, die Last der unpopulären Maßnahmen. Ich nehme es ihm nicht mal übel. Er sieht nach acht Jahren weit weg von zuhause das große Ganze wahrscheinlich nicht mal mehr.... Egal... Jetzt wird es ihm gezeigt.

"Bonner, ich übergebe Ihnen das Kommando über die gesamte Truppe, Arbeiterinnen und Arbeiter, Trupp 16 und Kommando Dolchstoß! Führen Sie einen organisierten Abzug! Das ist ein Befehl!"

Auch hier wieder... Ich sehe die Bestätigung des Verstandenen mehr, als dass ich sie höre. Dieses verdammte Klingeln... Noch zwei Minuten. Scheiße. Rekrutin Nagel! Die kann doch niemals laufen? Nicht nach der Ghulattacke! Nein, nein, nein. So jung und frisch im Dienst, Justice nächste Generation wird nicht in dieser... Brühe krepieren. Mayer und Erik... Ihr seid verdammte Helden! Bringt sie raus! Bringt sie alle raus! Ihr gewinnt diesen Krieg, ihr gewinnt das Morgen!

Ich gehe zur Seite, gebe Handzeichen zur Richtungsanweisung. Person um Person verlässt die Kolonie, hinaus in die Nacht. Befehle werden gebellt, die Worte für mich wie ein dumpfes Horn in einem Nebel. Mit jeder Person, die an mir kopfnickend in die Dunkelheit springt, wird die Gewissheit realer... Eine Minute.

Denisov und Frömmel stehen bei mir. Ich nicke ihnen zu. "Bin gleich hinter euch...." Radio Justice spielt die kaiserliche Hymne, ich halte einen Moment lang inne. Die Justice-Fahne wird vom giftigen Nebel verweht. Die Nacht ist dunkel, kalt. Und der Weg nach Hause weit. Auf mich wartet bestenfalls eine Entlassung und Inhaftierung, oder das Standgericht. Das... Das ist okay. Es muss so sein. Die Truppe schafft den Weg zurück.... Aber nicht mit mir und meinem gebrochenen Bein als Belastung. Ja.... Ja, das kann ich tun.

Zeit für eine letzte Entscheidung. Eine letzte Entscheidung, die ich zu euren Gunsten treffe, und bei der ihr wieder nicht erkennen werdet, wieviel ihr mir zu verdanken habt. Undankbares Pack, und doch... Und doch beschütze ich euch, für morgen, für den besseren Morgen.

Ich nehme die Maske ab und breche zusammen, der sengende Schmerz des gebrochenen Beines schenkt mir einen letzten Moment der Klarheit. Ich bin gescheitert, so knapp vor dem Ziel gescheitert. Ich habe versagt, das Oberkommando enttäuscht, die Waffe verloren und bin für den Tod Tausender weiterer Frauen, Männer und Kinder, Tausender weiterer Soldatinnen und Soldaten verantwortlich. Das ist unentschuldbar... Ich übernehme die Verantwortung.

Der stechende Schmerz zwingt mich dazu tief einzuatmen, noch mehr von der Verheißung des besseren Morgens aufzunehmen. Meine Sicht verschwimmt langsam. Ich ziehe die Maske wieder über, halte so das Gas an und in mir. Radio Justice schickt einen seiner Werbespots über den Äther:

"Leiste deinen Beitrag! Werde Soldat bei Justice und beschütze deine Lieben! Melde dich jetzt!"

Den Fluch von Denisov höre ich schon kaum mehr. Es ist gut... Kein Krieg ist bedeutungslos, wenn er das bessere Morgen verspricht. Ehre dem Kaiser und Justice.

Das Ende.