Erfahrungsbericht Weazel
Wie oft habe ich den Dead Rabbitz gesagt, dass es keine gute Idee ist, hierherzufahren?! Nach dem Debakel auf dem Basar sind wir Viktor gerade erst entkommen und jetzt folgen wir seinem Funkspruch, nur um Flagge zu zeigen? Das ist nicht nur verrückt, das ist absolut lebensmüde. Jeremia denkt genauso. Je näher wir dem Gelände kommen, desto nervöser und ruppiger wird er. Wir zwei sind echt die letzten, die ihre Gesichter irgendwo zeigen sollten.

Je näher wir kommen, desto schlechter schlafe ich. Am liebsten
würde ich es komplett sein lassen, aber mein Körper macht nicht mehr mit. Er
holt sich den Schlaf, den er braucht und lässt sich auch von den grauenhaften
Albträumen und Visionen nicht mehr aufhalten. Abwechselnd irre ich darin allein
durch die Wastelands, von gesichtslosem Grauen gejagt, so wie damals, oder aber
ich stehe wieder am Basar, mitten unter Leuten, versuche sie zu warnen, aber
sie wenden sich ab, lassen mich allein bis alles in Blut und Schreien und Chaos
versinkt.
Immerhin bin ich nicht allein, wenn ich aufwache. Jeremia quälen ähnliche
Dinge, Jean findet immer Worte, um mich zu beruhigen und wenn ich Glück habe,
ist Alice gerade so weit stabil, dass sie auf mich aufpassen kann und nicht
umgekehrt. Der Leichtsinn der Rabbitz mag anstrengend und manchmal auch
gefährlich sein, aber in diesen Situationen tun mir die Ablenkung und die
Stimmung der vielen Mitglieder gut.

Wenigstens macht unser Lager Eindruck. Wir sind gut gesichert und spätestens, wenn die anderen Clans Sadies "Kunstwerke" sehen, überlegen sie sich zweimal unser Lager zu betreten. Gut so, bleibt nur weg!
Die Rabbitz sind alle nicht ganz normal, aber gut, wer ist das schon? Immerhin halten sie offenbar zusammen, mal sehen wie lange das anhält. Auch wenn das manchmal seltsame Formen annimmt.
Als Elisabeth uns abends nach der Ankunft aus den Schriften Carolls vorliest und Jean uns deren Bedeutung erklärt, gerade als ich denke, mich in diesem geschützten Kreis sogar hier endlich mal entspannen zu können, hören wir draußen plötzlich einen Tumult. Offenbar hat Sadie mal wieder etwas gefangen. Im Flackern des Feuers erkenne ich die roten Kreuze auf dem Mantel und der Tasche des Mannes. Ein Arzt? Oh bitte Sadie, schneide ihm nichts ab, den können wir sicher brauchen.

Sogar schneller als gedacht: offenbar hat Sadie Bandersnatch seine lange Abwesenheit noch nicht verziehen und verpasst ihm kurzerhand eine Kugel in den Bauch, um den gefundenen Arzt auf die Probe zu stellen.
Heilige Scheiße, die sind noch irrer als ich dachte. Was soll das Geschwafel von Familie und Zusammenhalt, wenn man sich einfach mal so gegenseitig über den Haufen schießt? Wenigstens bewährt sich der Arzt, sogar Jeanne ist überzeugt und die versteht was davon.
In seiner gewohnt zutraulichen, naiven Art nimmt Lost, ach Quatsch, Found dem Neuen bald die Fesseln wieder ab und er wird zum Bleiben genötigt. Ich habe keine guten Erfahrungen mit aufgelesenen neuen Mitgliedern, aber mich gegen die Gruppe stellen will ich auch nicht. Sogar sein Name klingt ähnlich wie ihrer – Miha. Nein, aus, nicht wieder an Edgar denken. Die noch frischen Schnitte auf meinem Unterarm schmerzen und kurz flackert mein Blick zu dem Kopf an Founds Gürtel. Irgendwie muss ich das Ding loswerden, sonst dreh ich bald völlig durch, so wie er.

Um die Aufregung zu zerstreuen, schickt Jean uns in die Bar. Toll, Menschenansammlungen in engen Räumen, genau das, worauf ich Lust habe. Wir sollen die anderen Clans zur Tanzparty morgen Abend einladen. Mich dem Druck der Gruppe ergebend, schleppe ich den wackeligen und zugedröhnten, aber nichtsdestotrotz motivierten Bandersnatch dorthin und besorgen ihm was zu trinken. Am liebsten würde ich mir eine ganze Flasche Klaren reinstellen, aber ich muss bei Verstand bleiben. Ruhig atmen, keine Panik. Ich presse die Fingernägel in die frischen Narben, der Schmerz beruhigt mich. Die Barkeeperin sieht aus, als hätte sie die Fäuste locker stecken und das Zeug, das sie ausschenkt, riecht, als würde es sich durch den Becher fressen. Ich versuche neben Snatch in der Bank zu verschwinden – nur nicht auffallen. Vorsichtig umsehen. Ausgänge checken. Fahndungsplakate durchgehen. Weder Jeremia noch ich sind darauf zu finden, auch keiner der anderen überlebenden Shamrocks. Immerhin.
Plötzlich sehe ich Jeremia, der mit hochgezogenem Kragen vor der Bar steht und mit einer Frau in einem auffälligen Pelzmantel redet. Auch sie hat den weißen Strich im Gesicht. Was zum Teufel treibt er hier? Zwar stelle ich mich dazu, allein schon um ihn in meiner Nähe zu wissen, bekomme aber kaum etwas mit, so angespannt beobachte ich die Umgebung.
Da fällt plötzlich der Name, den ich neben Viktors von allen hier am meisten fürchte und am wenigsten hören wollte: Bogdan. Er ist also hier. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich kenne Jeremias Geschichten über die Schläger, bei denen er aufgewachsen ist. Die ihn abgestellt haben, Vaclav zu bewachen und in deren Augen er versagt haben muss, indem er ihn sterben ließ. Wenn die ihn finden, ist er tot.
Bogdans Boten
Als ich am nächsten Morgen unweit vom Lager Tumult höre, ist das erste, dass
ich mich nach Jeremia umsehe. Nicht da. Scheiße! Kaum draußen auf dem staubigen
Platz, sehe ich ihn – umzingelt von Bogdan und seinen Schlägern. Sie haben ihn
also erkannt. Nicht, dass ich Jeremias warnenden Blick nicht sehe, seine
ausgestreckte Hand, die mich zurückhalten will – es ist mir nur einfach egal.
Ich spüre die anderen Rabbitz um mich herum, während ich Jeremia flankiere und
habe nicht vor, ihm wieder von der Seite zu weichen. Meine Finger schließen
sich krampfartig um den Griff meiner Keule und angespannt warte ich darauf,
dass die Situation eskaliert.
Es geht natürlich um die Ereignisse am Basar. Jeremias Versagen. Vaclavs Tod. Die Anschuldigungen drehen sich um Kreis, die Stimmen werden lauter, plötzlich sind die Bilder wieder da, drängen sich in mein Bewusstsein und übernehmen die Kontrolle. Der Moment, als ich realisierte, dass alles vorbei war, als der Justice Kommandant versuchte, uns zu warnen. Die Shamrocks, zu denen ich nicht mehr gehörte, die sich in Sicherheit brachten und mich im Stich ließen. Jeremia, der angeschossen im Graben lag. Schreie, Panik, Todesangst und schlimmer noch: völlig allein zu sein, während um mich herum das Chaos losbrach.
"Jeremia wäre fast elendig verreckt, während Vaclav im Lazarett starb – viel später! Was zur Hölle hätte er tun sollen?" höre ich jemanden gepresst hervorstoßen. War ich das? Alle Augen sind plötzlich auf mich gerichtet und schlagartig bin ich wieder im Hier und Jetzt, auf der staubigen Straße umringt von Leuten, die uns an den Kragen wollen. Automatisch versuche ich mich hinter Jeremia zu verstecken, wie ich es immer getan habe, doch einer der Schläger zerrt mich in die Mitte und knurrt "Nichts da, erzähl, was du weißt!"
Stockend, kaum hörbar, berichte ich von den letzten Stunden am Basar. Die Sklavenbefreiung, die Verwirrung, der Aufmarsch von Justice, die Ränkeschmiede, die geplatzten Verhandlungen, die Schießerei. Wie Vaclav weit nachher, im sicheren Gebäude des Basars zusammenbrach. Wie ich half, ihn ins Lazarett zu schleppen. Dass die Ärzte mich wegschickten und das letzte, was ich von ihm sah, wie diese ehemalige Sklavin – Roach? – sich an sein Lager kniete. Dass ich das Gerücht gehört hatte, man hätte Vaclav später mit aufgeschlitzter Kehle gefunden.
Ich sehe es in den Gesichtern arbeiten, sogar in dem entstellten Etwas, das dieser Bogdan vor sich herträgt. Bete, dass sie eins und eins zusammenzählen. Hoffe, dass sie nach dem Strohhalm greifen. Wenn ich ihnen nur diese Roach liefern könnte. Oder andere Zeugen. Irgendeine Information. Wahrscheinlich stecken diese Typen genauso in der Klemme wie wir…
Abends in der Bar erwische ich einen der Rats. Die suchen doch immer nach Arbeit und haben ihre Ohren überall. Es braucht kaum Überredung, ihn und seine Leute auf Informationssuche zu schicken. Einzig die Kronkorken dafür muss ich zusammenbekommen. Aber wenn es eine Chance ist, Jeremia aus seiner Schuld zu holen, wäre ich auch zu weit mehr bereit. Außerdem habe ich endlich jemanden, an den ich mich wenden kann. Jean zögert keinen Moment, um unter den Rabbitz einen seiner Hüte rumgehen zu lassen und Kronkorken zu sammeln. Gemeinsam besiegeln wir den Deal mit den Rats und er schafft es sogar, den Preis für die erhoffte Information zu drücken. Einmal mehr bin ich von seiner Selbstsicherheit und Überzeugungskraft beeindruckt.
Cards
Als wir aus dem Lager der Rats kommen, stolpere ich fast über Cards. Zumindest
scheint er mich nicht zu erkennen. Wie lang steht er schon am Eingang des
Lagers? Hat er etwas gehört? Auch er ist auf der Suche nach einem Gefallen,
wenn auch einem deutlich harmloseren. Näharbeiten. Das kann ich, seit ich als
kleines Kind viele heiße Tage bei der alten Shaw in ihrem kleinen Laden in der
Staubstadt verbracht habe und sie mich für hier und da eine Konserve im Akkord
Knöpfe annähen und Löcher flicken ließ. Und wer weiß, vielleicht ist es doch
nützlich, hin und wieder mit Leuten in Kontakt zu kommen.

Er sitzt neben mir und mustert mich, während ich stumm vor mich hinarbeite. Plötzlich meint er unvermittelt "Ist das ein Kleeblatt da auf deiner Jacke?" Scheiße, ich muss vorsichtiger sein. Die Leute erkennen mich also doch. Ich lasse die Nadel sinken, bereit aufzuspringen. "Und was, wenn?" frage ich lauernd, als sich sein Gesicht aufhellt. "Ich wusste doch, wir kennen uns!" Ich atme auf, anscheinend ist er nicht nachtragend und hat mitbekommen, dass ich vom Konzept der Sklaverei nichtmal bei den Shamrocks überzeugt war.
Von dem Moment an wage ich sogar, mich mit ihm zu unterhalten. Die Situation bei The Pit scheint nicht gut zu sein. Erinnert mich an die letzten Monate der Shamrocks. Hot Rod und Hetze verschwunden, ein neuer Boss unter Viktors Knute. Anscheinend ein bewährtes Schema, wie ich finster feststellen muss. Aber im Gegensatz zu uns damals, sind die Clanmitglieder offenbar nicht gebrochen. Es klingt, als würde sich eine Revolte anbahnen. "Gut so", denke ich grimmig, "alles, was Viktors Leute von uns ablenkt, kann uns nur gelegen kommen."

Die Kämpfe
"Warum sind diese Rabbitz nur so verdammt gesellig?", frage ich mich stumm, als
ich hinter den anderen her, den Berg hinaufkeuche. Immer den Waldrand im Auge
behalten. Nie zu weit hinter den anderen zurückfallen. Wer einzeln läuft,
stirbt zuerst, das habe ich schon zu oft gesehen.
Am liebsten würde ich mich, umgeben von den anderen Rabbitz im Lager verkriechen, andererseits will ich auch wissen, wie es um The Pit steht. Ich muss über meinen Schatten springen und anfangen, Kontakte zu knüpfen, wenn ich irgendwas bewegen will. Muss die Leute davon überzeugen, dass sie nur verlieren können, wenn sie sich Viktor anschließen. So viel habe ich aus dem Basar gelernt. Wenigstens ist hier viel los und unsichtbar machen kann ich mich gut. Jeremia weniger.

Schon beim Betreten des Lagers entdecke ich viele bekannte Gesichter vom Basar. Na hoffentlich erkennen sie mich nicht. Solange ich nicht weiß, wo die Leute stehen, bin ich lieber vorsichtig. Da blitzt auf einmal ein grüner Haarschopf auf - hab ich richtig gesehen? Schon höre ich Found hinter mir schreien "BRUTUS!!!". Also hab ich mich nicht getäuscht. Hier hat es ihn also hinverschlagen, nachdem er den Rest der versprengten Shamrocks bei den Rabbitz zurückgelassen hat. Er scheint nicht halb so erfreut über das Wiedersehen wie wir. Generell wirkt er nervös, fahrig, unstet. Er zieht uns in den Schatten eines Baumes und wischt unsere Fragen mit einer Handbewegung beiseite. Wir sollen vorsichtig sein. The Pit sei nicht wie früher, seit der neue Boss übernommen hat. Er arbeite nicht nur für Viktor, sondern sei auch auf der Suche nach den ehemaligen Shamrocks. Großartig, noch einer auf unseren Fersen.
Die Tanzparty
Nachdem wir uns an den Arenakämpfe sattgesehen haben, wabern wir, berauscht
von der Atmosphäre, Jeans Pillen und Ashtrays Gift in kleinen Gruppen zum
Lager. Zum ersten Mal seit wir The Hole verlassen haben, fühle ich mich
ausgelassen, trotz des Auftritts von Viktors Schergen, der wieder einmal nur
versucht hatte, die Clans gegen Justice aufzubringen und für Viktor zu
gewinnen. Wir drehen die Musik auf, die ersten Gäste trudeln ein. Wir lachen,
wir tanzen, wir trinken.
Erst Stunden später fällt mir auf, dass Jeremia nicht zurückgekommen ist. Er war mit Alice und Elster bei The Pit zurückgeblieben. Sofort spüre ich Panik in mir aufsteigen und bin schlagartig nüchtern. Ich schiebe mich durch die ausgelassene Menge und frage jeden, ob er oder sie Jeremia gesehen hat. Da plötzlich höre ich: "Der ist in der Bar, mit dem neuen Boss von The Pit und diesen Viktor-Typen!" Das darf nicht sein. Zum Glück ergreift Jean die Führung und im Schatten von ihm und seiner Schwester mache ich mich auf den Weg, innerlich vibrierend vor Angst.
Viel zu auffällig marschieren wir durchs Casino Richtung Hinterzimmer. Ein Mädchen, das mich fragt, ob wir spielen wollen, schaue ich nur verständnislos an und schiebe sie aus dem Weg. Im Durchgang bleiben wir stehen, mit Blick auf die besorgniserregende Szene. Jeremia sitzt, umringt von Viktors Leuten, Ravier gegenüber, offenbar in Verhandlungen vertieft. Sein Blick flackert nur kurz zu uns hinauf, ich kann nicht erkennen, ob er uns etwas sagen will. Haut ab? Helft mir? Ich kann nicht verstehen, was gesprochen wird. Gerade will ich mich abwenden, um mir einen Platz zu suchen, von dem aus ich mehr hören kann, da sehe ich es. Jeremia legt die Hand an den Kopf, kleiner Finger und Mittelfinger ausgestreckt. Ich kenne das Zeichen und weiß sofort, die Lage ist ernst. Ich stürme zurück ins Casino und finde Elster. "Hol die anderen. Verteilt euch in der Bar, aber seid um Himmels Willen unauffällig – Jeremia braucht uns." Er läuft los.
Ich gehe ins Hinterzimmer und bin froh, dass mich entweder niemand bemerkt oder niemand mich als Bedrohung erachtet. Sehe aus dem Augenwinkel Princess und Bandersnatch auftauchen, bedeute ihnen Ruhe zu bewahren. Noch reden sie. Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Ohne, dass ich mitbekommen hätte was den Ausschlag gegeben hat, springt Jeremia auf, wirft Ravier fast rücklings von der Bank und drückt ihm sein Messer an die Kehle. Augenblicklich stehen wir in einem Pulverfass. Viktors Leute, Bogdans Schläger, The Pit, die Rabbitz – jeder hält irgendwem seine Waffe an die Schläfe, die Kehle, den Bauch und wird seinerseits in Schach gehalten.
Viktors Handlanger richtet das Wort an Jean, den er offenbar für unseren Anführer hält. Naja, so weit weg ist das meiner Meinung nach nicht, auch wenn die Rabbitz das anders sehen. Der schmierige Typ pfeift sein Mädel zu sich und lässt sie die Sekunden rückwärts zählen, die er uns noch zu leben gibt, wenn wir uns nicht ergeben. Zum Glück behält Jean einen kühlen Kopf. Er kann ihn überzeugen, dass weder Jeremia, noch wir ihm tot nützen. Keine Ahnung wie, aber die Situation beruhigt sich so weit, dass sie uns aus der Bar werfen, ohne jemandem ein Messer in den Rücken zu jagen. Verfolgt von der Drohung, morgen die Rechnung dafür präsentiert zu bekommen stolpern wir in die Dunkelheit.
Am Lagerfeuer


Nachts sitzen wir am Lagerfeuer, schmieden Pläne, rüsten uns für den unweigerlich bevorstehenden Kampf gegen Viktors Leute. Ich bin erstaunlich ruhig. Verschiedene Leute der anderen Clans finden in unser Lager. Sie waren entweder dabei oder haben von den Vorkommnissen gehört, aber alle haben sie ihren eigenen Kampf mit Viktor und seinen Leuten auszutragen. Warum sich nicht zusammenschließen?Jemand hat das Casino ausgeräumt, andere Munition zusammengeklaut. Die Ressourcen werden verteilt. Ich merke, dass Jean mich im Feuerschein mustert. "Und, bereust du es, dich für uns entschieden zu haben?" Für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, bevor ich mit leiser aber fester Stimme antworte. "Nein. Wenn es morgen zum Kampf kommt, dann ist es zum ersten Mal in meinem Leben meine Entscheidung. Und ich sterbe ja nicht allein." Die Rabbitz würden nie jemanden zwingen, an ihrer Seite zu kämpfen, aber sie stehen zusammen, das weiß ich jetzt.
Cards kommt ans Feuer. Er wirkt niedergeschlagen. Ich kann verstehen, wie schwer es ist, entgegen der Entscheidungen des eigenen Clans zu handeln. Ihm bleibt nicht viel, als uns seiner Freundschaft zu versichern, uns mit etwas Munition und ein paar Kronkorken auszuhelfen. Uns zu versichern, dass er wünschte, alles wäre anders gekommen. Bündnisse werden geschmiedet, Loyalität versichert. Ich bekomme nur die Hälfte mit, ich denke nicht mehr weiter als bis zum nächsten Morgen.
Langsam wird es still. Das Feuer ist heruntergebrannt, schwach beleuchtet die Glut die letzten sorgenvollen Gesichter. "Seht in den Himmel Freunde, wie schön die Sterne sind. Vielleicht seht ihr sie zum letzten Mal…"
Verhandlungen

Ich bin fast überrascht, als wir am nächsten Morgen aufwachen und alles ruhig ist - noch. Zäh kriechen die Stunden und Minuten dahin. Die Anspannung ist überall greifbar und der ganze Tag scheint geprägt von einem ewigen Hin und Her zwischen den Fronten, Verhandlungen, Unsicherheit über die Loyalität der anderen und der Angst vor Verrat.Bandersnatch, Alice und ich, wollen versuchen, zumindest die Sache zwischen Ravier und Jeremia zu klären und treffen ihn vor der Kampfarena. Ich will es ihm erklären, will mich für Jeremia entschuldigen, alles relativieren. Will mich vor ihm in den Staub werfen und ihn anflehen, Jeremia entgegen jeder Vernunft gehen zu lassen. Doch meine Kehle ist wie zugeschnürt, ich bringe kein Wort heraus. Alice versucht es, doch alle ihre Erklärungen scheinen an Ravier abzuprallen. Und als sein kalter Blick mich erwartungsvoll mustert, merke ich, ich habe ihm nichts entgegenzusetzen, kann nichts mehr vorbringen, um Jeremia zu verteidigen. Als Ravier sich umdreht und uns im Staub vor der Arena stehen lässt, brennt sich das rote V in meine Netzhaut und ich weiß: wir haben verloren. Die letzte und einzige Chance ist es, weiter wegzulaufen, uns zu verstecken, bis einer der vielen Feinde, die wir uns gemacht haben, uns doch finden wird. Außer dieser Ravier stolpert doch noch über seine Arroganz und wird von seinen eigenen Leuten zu Fall gebracht.
Am Weg nach unten treffe ich Cards und Ashtray. Wir rollen die Geschehnisse des letzten Abends noch einmal auf. Einmal mehr versuche ich Jeremias Kurzschluss zu rechtfertigen, im festen Glauben, die beiden im Grunde auf meiner Seite und gegen Ravier zu haben. Doch plötzlich klingt alles ganz anders. Der Clan steht hinter ihrem neuen Anführer. Gewaltsame Übernahme hin oder her. Damit wollen auch sie Blut sehen, dafür, dass Jeremia ihn angegriffen hat. Dafür, dass wir hinter ihm gestanden sind. "Wiederlicher Mutant!" will ich ihm entgegenschleudern. Doch ich beherrsche mich. Sätze aus meiner Kindheit, die ich nie ganz loswerden kann. Ich will mich auf ihn werfen, ihm die Augen auskratzen. Doch trotz seiner harten Worte mustert er mich wehmütig und fast mitleidig und ich erinnere mich daran, was ich selbst jederzeit dafür gegeben hätte, meinen Clan zu verteidigen, egal wie wenig ich mit dem aktuellen Kurs einverstanden war. Sogar die Shamrocks, sogar Edgar, bis zuletzt.

Zurück im Lager rufen wir die Rabbitz zusammen und erklären ihnen die Situation. Vertreter der anderen Clans kommen dazu und wir halten Kriegsrat. Sadies Kunstwerke um uns herum wirken dabei wie ein böses Omen. Wir wälzen mögliche Pläne und Ideen, eine unmöglicher als die andere. Ich beobachte Jeremia, der noch stiller ist als sonst und immer weiter in sich selbst zu verschwinden scheint.
Ich weiß nicht wer zuerst damit aufkommt: "Es ist immerhin The Pit, sie respektieren die, die kämpfen.", aber ich sehe, er begreift. Wahrscheinlich war ihm schon seit dem Vorfall in der Bar klar, dass es darauf hinausläuft. Die Rabbitz sind sich uneins, die Emotionen kochen hoch. Irgendwann unterbricht der Satz, den ich befürchtet habe die Diskussion: "Ich mach es, ich kämpfe gegen ihn. Dann ist es wenigstens vorbei, so oder so." Jeremia hat sich entschieden. Sein Blick ist entschlossen, seine Stimme fest. Haben wir ihn so weit gebracht? Sein Verantwortungsgefühl für uns?
Schweigen hat sich über die Versammlung gelegt. Die einen scheinen skeptisch, die anderen hoffnungsvoll. Manche froh, dass endlich eine Entscheidung gefallen ist. Immerhin haben wir mit dieser Versammlung sichergestellt, dass die anderen Clans sein mögliches Opfer mitbekommen. Hoffentlich stärkt das unseren Pakt im darauffolgenden Kampf gegen Viktor und seine Leute.
Der Deal
Wie ferngesteuert machen wir uns bereit. Cards trifft uns nochmal heimlich bei den Rats, um uns zu versichern, wie leid es ihm tut. Aber auch um zu erklären, dass er sich nicht gegen seinen Clan stellen kann. Ich verstehe sein Dilemma, weiß wie er sich fühlt. Und doch hasse ich ihn in diesem Moment. So wie mich selbst, die ganze Welt, die mich einmal mehr im Stich lässt.

Vor der Bar sehe ich Jean stehen und mit Ravier debattieren. Was ist da los? Als ich näher komme kann ich nicht glauben, was ich höre. Sie verhandeln. Über den Kampf, die Bedingungen, die Konsequenzen. Völlig fassungslos, zische ich Jean zu, was ihm einfällt, über Jeremias Leben zu verhandeln, ohne dass er auch nur dabei ist. Andererseits ist er der beste Verhandler von uns. Da sehe ich Jeremia aus dem Augenwinkel näher kommen und kann in meiner Verzweiflung nicht anders als ihm sarkastisch zuzurufen: "Red hier besser mal mit - es geht um dein Leben!" Wahrscheinlich bin ich nur deswegen so außer mir, weil ich bis zuletzt, entgegen aller Vernunft gehofft hatte, es könnte mit einem Kampf aufs erste Blut getan sein. Als ich das auch noch laut vorschlage, lacht Ravier nur kalt auf und wirft mir einen Blick zu, unter dem ich mich fühle mich wie ein dummes, naives Kind. Natürlich ist es damit nicht getan. Zwei gehen rein, einer geht raus.
Die Bedingungen sind gesetzt: ein fairer Zweikampf auf Leben und Tod, keine versteckten Waffen, keine Einmischung von außen, egal wie es ausgeht. Als Jeremia sie mit einem Handschlag besiegelt sehe ich, wie er mit dem Leben abschließt.
Das Ende
Wie können sie alle nur so ausgelassen sein? Das Lachen, die Musik, der Lärm
der berauschten Menge um mich steigert sich zu einem wahnsinnigen Cescendo, bis
ich glaube, es keine Sekunde länger ertragen zu können. Die Minuten schleichen
dahin und alles, woran ich denken kann, ist, wie schlimm es für Jeremia sein
muss. Allein unter diesen Kreaturen, die ihn tot sehen wollen. Wir alle haben
ihn zur Schlachtbank geführt.
Dumpf dröhnt eine Trommel durch den Nebel meiner Gedanken – es beginnt. Ich schleppe mich den Hügel hoch zur Arena, jeder Schritt bleischwer. Die Menge ist laut, bunt und berauscht, die Luft scheint zu flimmern vor Aufregung und Anspannung. Ich dränge mich durch die Leute und entdecke ihn im Bereich der Kämpfer. Jeremia steht da wie eine Statue, mit erhobenem Kopf, aufmerksam aber völlig ruhig ohne die gewohnte nervöse Wachsamkeit . Die letzten Meter laufe ich auf ihn zu und werfe mich in seine Arme. Kurz hält er mich fest und ich muss mich zusammenreißen nicht komplett die Fassung zu verlieren. "Du kannst das schaffen, du bist ein viel besserer Kämpfer als er, bitte versprich mir, dass du alles gibst." presse ich erstickt hervor, als die ersten Tränen meine Wangen hinunterlaufen. Sein Blick ist ein bisschen müde, aber er lächelt. Keine Ruppigkeit, kein nervöses Zucken. "Das wird schon. Zum ersten Mal seit Monaten, vielleicht Jahren, bin ich entspannt." erwidert er sanft und meine Hoffnung schwindet. "Und jetzt geh. Mach keinen Unsinn und versprich mir, dass du auf dich aufpasst Weazel!" Ein letztes Mal presse ich meine Stirn an seine, dann drehe ich mich auf dem Absatz um und laufe durch die Menge davon, stoße Leute aus dem Weg bis ich am Zaun des Kampfkäfigs ankomme und daran zu Boden sinke. Elster steht neben mir und poliert etwas. Es ist ein Teil von Jeremias Rüstung, die er ihm geschenkt hat. Zum Abschied.
Als die Kämpfe losgehen, taucht Alice neben mir auf. Ich muss nichts sagen, sie weiß was in mir vorgeht. Ich bekomme den Jubel und das Schreien der Menge um mich herum kaum mit. Die anderen Kämpfe sind bedeutungslose Geplänkel, kindliche Raufereien, die mit dem ersten Blutstropfen enden.
Plötzlich merkt man wie die Stimmung kippt, die Spannung ist fast greifbar. Cards verkündet den letzten Kampf. Ich kralle mich an den Zaun, als Jeremia, gefolgt von Ravier den Ring betritt, will schreien, will mich dazwischen werfen, will irgendetwas tun, um das Unausweichliche zu verhindern. Die Kämpfer umkreisen sich, erste Schläge gehen ins Leere, Jeremia trifft – weiter so! Schreie ich laut oder nur innerlich? Schläge, Paraden, Treffer – plötzlich blitzt ein Messer in Raviers Hand auf. Nein, das kann nicht sein, das war so nicht vereinbart! Jeremia schafft es auszuweichen, einmal, zweimal. Ein Schlag lässt ihn straucheln und er geht zu Boden. Steh auf, steh auf! Kämpf!
Mein Herz scheint stehen zu bleiben, als Ravier ihn an den Haaren packt und auf die Füße zerrt. Eine gespenstische Stille legt sich über den Kampfplatz und die gesamte Menge. "Irgendwelche letzten Worte?" knurrt Javier Jeremia zu. Dessen Blick flackert kurz zu mir und den um mich stehenden Dead Rabbitz, bevor er seinen Kopf in den Nacken legt und ein ersticktes Heulen ausstößt. Die Rabbitz stimmen geschlossen ein, sodass man kaum hört wie Jeremias Stimme abrupt abbricht, als ihm Ravier in einer fließenden Bewegung das Messer über die Kehle zieht. Etwas in mir zerbricht. Ich werfe mich an den Zaun und schreie, schreie als ob es mein Leben wäre, das gerade mit einer lächerlich kleinen Handbewegung beendet worden wäre. Als ob mein Körper es wäre, der blutüberströmt in den Sand der Arena fällt.

Aus dem Augenwinkel sehe ich Bogdan und seine Leute den Ring betreten. Ich rapple mich hoch, renne hinein und stoße sie aus dem Weg, während ich mich über Jeremias leblosen Körper werfe. Nur am Rande registriere ich, wie sie sich alle um ihn scharen – Bogdans Boten, die Rabbitz. Doc, der vergebens nach seinem Puls tastet, obwohl er genau weiß, dass es zu spät ist. Alice, die neben mir um Fassung kämpft. Cards, der uns dazu anhält, aus der Arena zu verschwinden. Sie heben Jeremia hoch und gemeinsam tragen wir ihn weg. Weg von Rache, Blut und Staub. Das hast du hinter dir, Jeremia. Bevor ihm jemand Kronkorken auf die geschlossenen Augen legt sehe ich ein letztes Mal in das Gesicht, das so lange das einzige war, dem ich vertrauen konnte und bemerke durch all den Schmerz und die Verzweiflung, dass es noch nie so ruhig, fast zufrieden ausgesehen hat.
Wie betäubt wandern wir zurück in unser Lager. Keiner spricht, nur leises Schluchzen unterbricht die Geräusche des nächtlichen Waldes. Von weither hören wir Rebel Radio "The winner takes it all" spielen, als sich alle ums Lagerfeuer versammeln. Jean hält mich fest, während Alice die Stimme erhebt. Sie spricht über Jeremia, seinen Weg zu den Rabbitz, seine Loyalität und wie er seine Verpflichtung gegenüber dem Clan angenommen hat. Sie vergießt Absinth für ihn, dann übergibt sie die Flasche in die Runde, wo jeder einen letzten Schluck nimmt und als Abschiedsgruß den kleinen Finger in den nächtlichen Sternenhimmel streckt.
Als die Flasche bei mir angekommen ist, sehe ich in all die Gesichter im Feuerschein um mich herum. Kürzlich noch fremd und verrückt, sind sie jetzt ernst, traurig, verzweifelt aber auch vertraut, verlässlich. "Ihr habt einer verlorenen Seele ein Zuhause gegeben" flüstere ich kaum hörbar "Er ist gestorben wie er es immer wollte: im Kampf, aufrecht. Aber anders als er erwartet hatte, im Kreise einer Familie. Seiner Familie." Meine Finger schließen sich unwillkürlich fester um Jeremias Waffe, die er mir mit seinen letzten Worten in die Hand legte: "Pass auf dich auf." Ich trinke. Auf Jeremia. Und während der Absinth in meiner Kehle brennt, ich Princess leise Stimme, begleitet von den Klängen der Gitarre höre, lasse ich ihn los. Lasse alles los, was war und fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben frei. Vielleicht suchen sie mich weiter, vielleicht auch nicht. Mir ist es gleich. Sollen sie doch kommen.
