Das Tagebuch von Ada,  Barkeeperin aus Riverfield

Riverfield in Asche

Ada konnte den Brandgeruch noch immer an ihrer Kleidung riechen. Gerade mal ein paar Tage war es her, dass ihr gesamtes Leben vor ihren Augen niedergebrannt war. Ihre Bar, ihre Stadt, ihre Freunde, ihre Sicherheit. Seit ein paar Tagen befanden sie sich auf der Flucht. Ausgehungert, vor Kälte zitternd, - der radioaktive Sturm peitschte am Horizont, sein fremdartiges Glimmen rückte bedrohlich näher.

Zögerlich und tollpatschig bewegten sich die ehemaligen Dorfbewohner von Riverfield durch das unbekannte Gelände. Ada konnte kaum erkennen, was vor ihr lag. Sie betrachtete die Gruppe von Wasteland-Ratten und ein Gefühl der Erleichterung überkam sie, als in ein paar bekannte Gesichter blickte. Tobias und seine jüngere Schwester Mina, zwei Scavenger, waren ihr sehr ans Herz gewachsen. Sie hatten sich mit der Mutantin Nix und dem Söldner Rollo auf die Flucht begeben, und waren später zur Gruppe gestoßen. Ada wollte sich gerade eine ihrer letzten Zigaretten anzünden, die Hand zitterte als sie das Streichholz hob.

"Scheisse...ich glaub da ist irgendwas da unten."

Einer der Dorfbewohner deutete auf ein schwaches Glimmen in der Dunkelheit. Und tatsächlich, er hatte recht. In der Dunkelheit eines Tales, das sich vor ihnen auftat, lagen die Schatten von mehreren Gebäuden. In manchen glomm Licht, einladend und bedrohlich zugleich. Ada, Tobias und Mina blickten sich hoffnungsvoll an. Was auch immer da unten wartete: Es war ihre einzige Hoffnung, dem radioaktivem Sturm zu entkommen.

Sicherheit für die Nacht...

Als sie das Gelände betraten, wurden sie von niemanden aufgehalten. Die Tische waren teilweise noch gedeckt, die Betten benutzt - wo waren die Bewohner? Plötzlich zerschnitt eine laute Sirene die Luft: Der Sturm war fast da! Die Gruppe teilte sich auf, und drängte sich in die wenigen Räume, in die der verseuchte Wind nicht eindringen konnte. Kurz bevor das radioaktive Chaos kreischend über sie hereinbrach, kam Ada ein Märchen aus der alten Welt in den Sinn, dass sie in einem uralten Buch mal gelesen hatte: "Goldlöckchen und die drei Bären". Warum sie genau jetzt daran dachte konnte sie gerade nicht sagen.

Mit dem Sturm kamen die Monster. Kichernd und brüllend bewegten sie sich im Sturm, unberührt von dessen zerstörerischen Macht. Doch dann redeten diese Biester. Hämisch, mit der Stimme voll Wahn, forderten die Kreaturen die Dorfbewohner auf, die Siedlung zu verlassen. Auf Gespräche ließen sich diese Degenerierten nicht ein. Die Belagerung setzte noch viele Stunden fort, eingekesselt durch Sturm und Monster waren Ada und ihre Mitstreiter stets in Alarmbereitschaft, die Augen geweitet vor Angst und Anspannung. Tobias und Nyx lasen zur Beruhigung aus einem Magazin der alten Zeit vor - eine Legende von der Heldin "Doktor Bergen, Notärztin aus Leidenschaft"!

"Ach, könnte ich nur auch nur so viel Mut beweisen wie Doktor Andrea Bergen...", dachte Ada, und umklammerte ihr Brecheisen "Gordon" fester.

Kultisten

Adas Herz schien sich langsam zu beruhigen - der schlimmst Sturm schien vorüber und die Lady mit der Wettermaschine, von Nyx liebevoll "Frau Holle" getauft, sagte dass sie erst mal Ruhe hätten.

Relativ schnell wurde klar, wer vor ihnen in dem Dorf gehaust hatte: Ein Haufen verrückter Redneck-Kultisten-Mutanten, die Radioaktivität anbeteten. Ihr Banner und Schriften, übersäht mit dem Symbol der "unsichtbaren Flamme", war in allen Gebäuden zu finden. In einem Zimmer befand sich eine übel zugerichtete Leiche und Einmachgläser voller deformierter Organe. Der Gestank war unerträglich. Ada setzte sich auf den Rand einer der Betten. Sie betrachtet die noch gedeckten Tische, rückte ihren Hut zurecht und tastete nach einer der zwei Zigaretten die ihr noch geblieben waren. Wieder dachte sie an Goldlöckchen.

"Scheint so, als müssten wir den drei Bären den Arsch aufreißen.", sagte sie laut zu sich selbst.

War irgendwie passend, das die Kultisten in ihrer infantilen Art überall dreckige, zerfledderte Teddybären herumliegen hatten. Ihre Gedanken wurden vom eindringlichen Ton der Sturm-Sirene unterbrochen. Alle zogen sich hektisch in die "Gebetshalle" des Kultes zurück. Ein letztes, schreckliches mal für diese Nacht wurden sie von den "Kindern der Flamme", oder wie sie sich nannten, belagert. Dann kehrte eine bedrohliche Ruhe ein.

Ein neuer Tag

Bei Tageslicht wirkte das Dorf fast einladend - wenn man die grausamen Details ein wenig ignorierte. "Na, Ada - das wäre doch ein perfekter Ort für eine neue Bar.", meinte Tobias und grinste in ihre Richtung. "Hab ich mir auch schon gedacht.", Ada lächelte und nahm einen Schluck aus ihrem Flachmann, der mit "Mandy's Magnificent Moonshine" gefüllt war, "aber vorher müssen wir die drei Bären loswerden."

Tobias schaute sie verständnislos an.

"Ach, egal." Ada zuckte mit den Schultern. "Das wird unsere neue Heimat. Ob die Dreckskerle es wollen oder nicht." In den Morgenstunden machte sie sich mit einem Trupp anderer Kameraden auf, die Gegend zu erkunden. Schnell wurde klar, was für ein kranker Haufen diese Kultisten waren. Im Wald konnten sie ein abartige Prozession dieser Unsichtbaren Flamme beobachten. Angeführt wurden sie vom hässlichsten Wixer, den Ada je gesehen hatte - einer Art Priester, den sie den "Vater" nannten. Seine Schergen war ein bunter Haufen aus Wastelandern, die sich in unterschiedlichen Stadien der Strahlenkrankheit befanden. Auch ein paar Ghule waren unter ihnen - und, das war das schlimmste - diese verhielten sich wie Hunde an der Leine, waren den Kultisten ergeben.

Einer der Kultisten-Arschlöcher baute sich bedrohlich vor Ada auf. Die Stimmung war angespannt, trotzdem senkte die Barkeeperin ihre Brechstange und hob beschwichtigend die Hände. "Können wir nicht über alles reden? Was ist, wenn wir uns die Siedlung teilen.", sagte sie zu dem Mann, der auch seine Waffe gesenkt hatte. "Entweder ihr verschwindet, oder ihr schließt euch uns an..wenn ihr denn würdig seid.", knurrte dieser. "Ok, ok, wir werden darüber nachdenken.", grinste Ada. Sie konnte spüren, dass dies die letzte Begegnung war, die ohne Blutvergießen enden würde.

Gewalt in der Luft

Als die Gruppe zurück ins Dorf marschierte, wusste Ada, was zu tun war. "Wir oder die.", sagte sie laut, und erhielt ein zustimmendes Nicken von den anderen. Und so begannen sie, die Gebäude zu sichern. Tobias, Mina, Rollo, Mitglieder einer Gruppierung, sie sich "Die Gesellschaft" nannte und andere Mitkämpfer bauten eine Barrikade. Bewaffnete postierten sich an relevanten Stellen des Geländes, die wichtigsten Ressourcen - Munition, Medizin, Essen - wurden an einer sicheren Stelle gesammelt. Relativ schnell würden sich diese Bemühungen auszahlen: Immer und immer wieder wurden sie von dem Haufen blutrünstiger Wirrköpfe belagert. Jeglicher Versuch, mit ihnen zu sprechen war sinnlos: Immer wieder hetzten sie ihre Ghul-Bestien auf die neuen Dorfbewohner. Ada sah sich zum ersten mal in ihrem Leben in einem direkten Konflikt um Leben und Tod. Ihre Brechstange durchschnitt mehr als einmal die Luft, traf mehr als einmal auf verfaulendes Ghulfleisch. Die darauffolgenden Stunden waren ein verschwommenes Chaos aus herum-spritzenden Blut, ohrenbetäubende Schüsse, aufgewirbelter Staub, Schreie, Ächzen, Hitze und Schweiß.

Auf der Gegenseite gab es Opfer, doch auch bei ihnen standen nicht alle wieder auf. Da war der Mechaniker Nick, der plötzlich verschwunden war - sein abgehackter Kopf wurde später von den Bestien vor die Tore des Dorfes geschleudert. Frau Holle...diese Närrin hatte sich wohl in das Kultisten Camp begeben, um ihre Wettermaschine zurückzuholen. Sie wurde brutal ermordet. Am Boden lagen Schwerverletzte - teils angeschossen, teils von schreckliche Risswunden bedeckt, manche litten an der Strahlenkrankheit und murmeltier wirres Zeug. Irgendwer hatte Rollo in den Arsch geschossen, der Doc der "Gesellschaft" schaffte es, ihm das Ding rauszuholen.

Die Unsichtbare Flamme

Am frühen Nachmittag schleppte sich die Söldnerin Linah in unser Dorf. Was auch immer sie sich davon erhofft hatte, sie hatte sich zu den Kultisten geschleppt und dort eine ekelhafte Flüssigkeit getrunken...vielleicht, weil sie gehofft hatte, gerettet zu werden? Ada wusste es nicht, denn die junge Söldnerin bereute es bereits. Sie quälte sich mit ihrer Entscheidung und schien unter schweren Bauchkrämpfen zu leiden.

Gleichzeitig schien der zungenlose Gefangene, Tom, der in der Gebetshalle gefunden worden war, immer unruhiger zu werden. In krakeliger Schrift versuchte er Ada und den anderen zu verstehen zu geben, dass eine unsichtbare Gefahr im und um das Dorf lauerte: Die Quelle der Unsichtbaren Flamme selber - zwei Fässer voll mit höchst radioaktivem Material, dass die neuen Bewohner langsam aber sicher umbringen würden. Die Fässer anzugreifen würde den sicheren Tod bedeuten, doch sie MUSSTEN weggebracht werden.

Ada blickte in die Gesichter der verzweifelten, müden Dorfbewohner. Die Mitglieder der "Gesellschaft" waren am Ende, entweder verletzt oder verstrahlt. Zahlreiche Kämpfer lagen schwer verwundet im Staub. Irgendwer hatte sie außerdem verraten, denn Medizin und Anti-Rad Spritzen waren einfach verschwunden. Auch die neu angekommenen Raider, deren Hilfe sie erkauft hatten, waren ihnen gerade keine große Hilfe.

"Scheisse, verdammt, wir brauchen Freiwillige die die Fässer wegbringen." Niemand schien Ada zuzuhören. Sie sah in Minas Augen, dass diese kurz davor war, sich freiwillig zu melden. Ada sah sie eindringlich an. "Tu das ja nicht, Mädchen.", flüsterte sie.

Linah`s Opfer

"Ich kann es tun. Ich bin sowieso schon tot." Linah sprach mit fester Stimme. Ada fühlte unendlich Erleichterung und Dankbarkeit. "Bist du sicher?" "Ja." Ihr Stimme war weiterhin fest, als sie auf das Motorrad mit Anhänger zutrat, den Tom für den Abtransport bereit gestellt hatte. Für ihn hatten sie Rad-X, denn er hatte eine Chance dies alles zu überleben.

"Na gut." Ada klatschte in die Hände und sprach lauter. "Hört alle zu. Wenn Linah und Tom sich an die Bergung der Fässer machen, müssen wir sie verteidigen - wer weiß, vielleicht versucht der Kult uns aufzuhalten...und haltet ABSTAND. Sonst seit ihr ganz sicher tot." Quälend lange dauerte es, bis Linah ganz alleine das Fass aus dem Keller des Kultes barg. Endlich hatte sie es geschafft, und schnallte es am Anhänger von Tom fest. Aus ihre Nase und Augen lief bereits eine bedeutende Menge an Blut.

Das zweite Fass befand sich im Gestrüpp um die Gebäude. Adas Herz klopfte wild, als sie Linah und Tom mit gebührlichen Abstand aus dem Lager begleitete. Linah schleppte sich in das unwegsame Gelände, doch sie war so gut wie am Ende. Ada blickte sich panisch um: Sie waren völlig alleine hier draussen. Sie konnten jederzeit überrascht werden. "Verdammte SCHEISSE!", schrie sie aus vollem Hals in Richtung Lager, "Wofür bezahlen wir euch eigentlich?!" Die drei Redband-Söldner, die vor ca. Zwei Stunden im Lager angekommen waren fühlten sich angesprochen und galoppieren in ihre Richtung.

"Was...was ist?!", keuchte der schwer bewaffnete Mann mit dem Irokesen.

"NOCH nichts...aber sie können uns jederzeit...!"

In diesem Moment war ein unmenschliches Schreien aus den Büschen zu hören. Ghoule, mit Blasen und Tentakel übersät, rasten auf sie zu. Schüsse fielen, Blut spritzte. Gordon, die Brechstange, schwang durch die Luft, traf auf vergammeltes Fleisch, immer wieder. Ein Redband half Linah, die kaum noch stehen konnte, das Fass aus dem Dickicht zu rollen...auch er wusste, was es für ihn bedeutete.

Ada spürte einen Stich der Schuld, denn noch vor einer Stunde hatte sie genau diesen Söldner verdächtigt, das Dorf sabotieren zu wollen. Jetzt opferte er vor ihren Augen sein Leben. Aus dem Dorf war mittlerweile viel Hilfe geeilt - Keulen, Stangen und Prügel wurden geschwungen, Kugeln durchschnitten die Luft, Mutanten und Menschen keuchten vor Schmerz. Das ganze Dorf verteidigte sich. Ada fühle einen gewissen Stolz. ENDLICH. Die Fässer waren beide am Anhänger gesichert. Tom drückte das Gas durch, wich ein paar Ghulen aus, und fuhr davon. Plötzlich wurde Ada klar, dass sie vergessen hatten, ihm die zweite Dosis Strahlenmedizin mitzugeben. "Scheiss.", dachte sie nur. Linah brach am Wegrand zusammen. Wo der Söldner war, der ihr geholfen hatte, wusste Ada nicht.

"Soll...soll ich es beenden für dich?", flüsterte Ada in Linahs Ohr. Linah schaffte nur mehr ein müdes Nicken. Ada schnitt ihr die Kehle durch, ihr Blut formte ein Rinnsal auf dem staubigen Boden. Irgendwie fühlte es sich an, wie eine blutige Taufe. Ada hatte das Gefühl, dass sie von nun an ein anderer Mensch war. An diesem Tag hatte sich nicht nur Linah geopfert. Der Söldner der Redbands war auch nicht mehr zu retten. Tom, der zungenlose Mann, wurde nie wieder gesehen. Ada konnte sich nicht vorstellen, dass er die Nähe zu den Fässern überlebt hatte. Doch Linah war das Symbol des Opfers, das notwendig war, um das Dorf bewohnbar zu machen.

An diesem Tag wurde die Idee geboren, das Dorf "Linahs Ruh" zu taufen.

Das letzte Gefecht

Gegen Abend schlug der Sturm ein letztes mal erbarmungslos zu. Mit ihm kamen die übriggeblieben Mitglieder der "Kinder der unsichtbaren Flamme" zusammen mit ihrem "Vater". Ada, Mina und Tobias umarmten sich und nahmen dann entschlossen Stellung, um die Gebetshalle zu verteidigen. Zuerst entbrannte eine Schießerei, Kugeln durchschnitten die Luft, Körper fielen, kaum jemand war nicht verwundet. Dann, als die Kugeln ausgingen, schlugen die Dorfbewohner mit allem zu, was ihnen noch geblieben war, Äxte, Ziegelsteine, Rohre und Fäuste. Mit einem eilig zusammengestellten Funkgerät konnten Mitglieder der "Gesellschaft" nach Hilfe funken...und als Ada kaum noch Hoffnung hatte, wurde es plötzlich still um sie alle.

Es war vorbei. Der Dorfplatz war mit Leichen gespickt, der Wixer, der den Kult angeführt hatte war mit eingezogenem Schwanz ins Dickicht geflüchtet. Die Erleichterung war kaum fassbar, als dann noch fremde Söldner und Mitglieder von Justice den Dorfplatz betraten und den geschockten Dorfbewohnern einen Drink anboten.

"Na Ada, wirst du deine Bar wieder aufbauen?", fragte Tobias.

"Darauf kannst du dich verlassen." Ada schaute den Dorfplatz an. Am Boden lagen die abgetrennten Köpfe von Teddybären.

Sie grinste, und steckte sich eine Zigarette an.